D AS MAGAZIN N 1 2022
Sonderveröffentlichung
1von 30 HISTORISCHES ARCHIV DER STADT
KOLN
»Ein Archiv hat die Aufgabe,
gesellschaftliches
Erinnern auch über das
flüchtige menschliche
Gedächtnis hinaus zu
sichern und jeder Generation
die Möglichkeit zu
geben, sich ein Bild von
der Vergangenheit zu
machen.«
Dr. Bettina Schmidt-Czaia
Leitende Archivdirektorin
Als eines der größten und bedeutendsten
Kommunalarchive Deutschlands ist das
Historische Archiv der Stadt Köln das
lebendige Gedächtnis dieser Stadt. Auf
mehr als 50 Regalkilometern bewahrt es
wichtige Originaldokumente aus über
1000 Jahren Kölner und rheinischer
Geschichte – neben mittelalterlichen
Urkunden, Akten der städtischen Verwaltung,
historischen Plänen, Fotos und Filmen
auch Nachlässe, Handschriften und
Sammlungen bedeutender Institutionen
und Persönlichkeiten wie Konrad Adenauer,
Heinrich Böll, Alfred Biolek, Hilde
Domin, Ama lie Lauer, Albertus Magnus,
Alfred Neven DuMont, Jacques Offenbach
und Giuseppe Verdi. Das Archiv versteht
sich als Bürger*innenarchiv und steht
allen Interessierten als zentraler Ansprechpartner
für Fragen zu ihrer Geschichte
offen. Seit 2021 befindet es sich in seinem
neuen Domizil am Eifelwall. Im Zentrum
des mit modernster, nachhaltiger Klimatechnik
ausgestatten Neubaus steht das
»Schatzhaus«. Auf 8 000 qm wird hier auf
sieben Etagen das Archivgut verwahrt, in
den Restaurierungswerkstätten widmen
sich Fachleute dem Erhalt der Archivalien.
Für Interessierte stehen im Lesesaal 45
Arbeits plätze zum Erkunden historischer
Quellen zur Verfügung, zudem finden regelmäßig
Ausstellungen und Vorträge statt.
Brief mit 23 Siegeln
Der Verbundbrief. Viel Text. Viele Siegel, 23
an der Zahl. 23 Exemplare der Urkunde gab
es (fünf sind in Köln erhalten): eine für den
Stadtrat, die anderen für die 22 Gaffeln –
Zünfte und Berufsgenossenschaften, die
die Herrschaft der wenigen reichen Patrizier
1396 beenden. Diese neue Stadtverfassung
steckt im Detail die Spielräume ab, in denen
Köln von nun an regiert werden soll: mit
Bürgermeistern, Wahlen und Kontrollinstanzen.
Ein klarer Fortschritt, die Macht
auf viele Bürger zu verteilen. Aber: Zahlreiche
Männer und vor allem die Frauen
besitzen kein Bürgerrecht. Der Verbundbrief
ist allenfalls die Vorform der modernen
Demokratie. Anfangs wegweisend, am Ende
ein Dokument der Klüngelherrschaft.
Viel Spielraum bietet auch die Interpretation
dieser Urkunde, stilisiert als »Kölner Bibel
der Demokratie« – heilig wie die Zehn Gebote.
Als 1794 die Franzosen einmarschieren,
verkündet man, Köln sei von Anfang
an demokratisch gewesen und folge den
Idealen der Französischen Revolution. Am
19. März 1795 pocht Bürgermeister DuMont
in einer flammenden Rede im Pariser Parlament
auf die vermeintlich lange Demokratiegeschichte
Kölns – und zückt als Beweis
ein Exemplar des Verbundbriefs. Vergeblich.
Er scheitert und wird sogar inhaftiert, Köln
wird französisch.
1938 folgt eine gänzlich andere Interpretation.
Die Stadt schenkt Adolf Hitler ein
Exemplar des Verbundbriefs. Die vielbeschworene
Kölner Verfassung ausgerechnet
einem NichtKölner
zum Geschenk zu machen,
ist ein Akt der Unterwerfung. Hitlers
Exemplar stammt vom mittelalterlichen
Stadtschreiber Gerlach vom Hauwe, der das
30 Museen und kulturelle Einrichtungen in Köln
Text:
Mario Kramp und Rüdiger Müller