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Schließlich fanden wir uns wenige Monate später in einem 50 Jahre alten
Mercedes Kurzhauber wieder – einem zum Camper umgebauten ehemaligen
Feuerwehrauto. Er wurde frisch aus dem Bauch eines Schiffes in den
USA entladen, nachdem wir dies in Köln lange als Familie gemeinsam vorbereitet
hatten. Wir hatten es geschafft. Tatsächlich geschafft. Turbulente
Monate lagen hinter uns und fantastische Monate vor uns. Es sollte eine tief
beeindruckende Reise werden. Eine Reise zu uns als Familie, eine Reise zurück
zu uns selbst. Eine Erfahrung, die uns im Verlauf der Reise unglaublich
oft sprachlos und demütig sein ließ.
Begeisterung und Emotionen – wir erlebten wohl eine der bisher intensivsten
Zeiten unseres Lebens. Die Liste der Dinge, die wir zum ersten Mal erlebten,
wuchs von Woche zu Woche. Ein Grizzlybär überquerte in den USA vor
uns die Straße, am Golf von Mexico sehen wir eine Delfinschule am Horizont,
rennen los und schwimmen tatsächlich mit wilden Delfinen. Ein magischer
Moment. Wir verbringen einige Tage bei den Amish in Louisiana und fühlen
uns in eine andere Zeit versetzt. Wir durften mit Ihren Pferdekutschen fahren
und nehmen an Tierauktionen teil. Ihr reduziertes Leben ist bestechend.
Technik wird nicht grundsätzlich abgelehnt, aber ihr Nutzen hinterfragt. Es
gibt bei ihnen eine regelmäßige Familienzeit, in denen die Kinder Fragen
stellen sollen. Eine schöne Tradition.
Wir standen in der Wüstenlandschaft vor 15 Meter hohen Kakteen, haben
Walknochen am Pazifikstrand gefunden, KojotenGeheul
um unser Feuerwehrauto
gehört, im Mississippi geangelt, sind im Monument Valley auf
Pferden geritten, standen vor MayaPyramiden
und haben an einem aktiven
Vulkan übernachtet. Und was wir alles Neues gegessen haben – Kaktusblätter,
Heuschrecken, Jackfrüchte, Minikokusnüsse, Bananen direkt von der
Staude, frische Kakaobohnen. Die Liste lässt sich lang fortführen. Neben der
Natur sind es vor allem immer wieder die Begegnungen und Einladungen,
Gespräche und die Offenheit der Menschen, die uns tief beeindruckt haben.
Wir haben soviel gelernt – wie wenig wir eigentlich brauchen: Eine von unseren
zwei Herdplatten ist schon in den ersten Wochen defekt und bleibt
es auch. Unser winziger altersschwacher Kühlschrank leistet mehr schlecht
als recht seinen Dienst und die Kinder haben so gut wie kein Spielzeug. Wie
viel die Kinder auch lernen, wie sie die Sprachen aufsaugen. Wie sie die Natur
und Tiere beobachten, Wale an den Flossen erkennen, einfach mal alles
sammeln, was es zu finden gibt. Die Schatzkisten sind voll mit Muscheln,
Steinen, Knochen, Kronenkorken und Holzstücken. Wir blicken als Eltern nun
oft selber wieder durch Kinderaugen und entdecken mit ihnen gemeinsam
diese Wunder.
Unsere 4jährige
erkennt den Flug des Fregattvogels und der Pelikane und
fragt, ob Papagaienfische fliegen können. Wir haben zusammen gebastelt
und geschnitzt. Wir konnten beobachten, wie sie über sich selbst hinausgewachsen
sind, mutig waren, mit riesigen Walhaien schwammen und mit
anderen Kindern unabhängig vom Alter, Herkunft, Sprache spielten. Wie ausgeglichen
wir alle in der Natur und als Familie sind – wir fühlten uns wie
losgelassen.
Während dieser Zeit lebten wir den Rhythmus der Kinder, der Regionen, die
wir bereisten, und der Menschen, denen wir begegneten. Ganz losgelöst und
so frei wie noch nie zuvor. Ganz beseelt von den Erlebnissen, Menschen und
der beeindruckenden Natur gilt es nun für uns dieses Gefühl im neuen Alltag
zu bewahren. An einer Stelle unserer Reise verirrte sich ein bunter Kolibri
in unserer Feuerwehrauto, flog herum und fand alleine wieder heraus –
wie bunt dieses Leben sein kann. Dieses Farbenfrohe und diese Positivität
wollen wir uns unbedingt bewahren.
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Ganz sicher sind wir uns, dass diese Familienzeit lange in uns nachwirken
wird. Wir sind die gleichen geblieben und doch haben wir uns verändert.
Infos unter: old_german_fire_truck
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Das ganze Heft online:
www.rheinkind-koeln.de